{Designerin des Monats}
Beim Vereinigten Königreich denkt man an vieles: die königliche Familie natürlich, Tea Time – und Regen sicherlich auch. Nicht allzu oft ist Stricken eine Assoziation. Zu dominant sind da die skandinavischen Länder mit ihren Designerinnen und diesem typischen nordischen Lebensstil. Dabei lohnt sich auch ein Blick über den Ärmelkanal. Ganz abgesehen davon, dass auch in Großbritannien oder Schottland Wolle produziert wird und gerade das mehrfädige Stricken dort eine jahrhundertealte Tradition ist – auch Strickdesignerinnen leben auf der (großen) Insel in der Nordsee. Eine von ihnen ist Cheryl Mokhtari – und um sie soll es in diesem Text gehen.

Foto: ©️ Cheryl Mokhtari
In den E-Mails, die unserem Videotelefonat vorangehen, betont Cheryl gleich zu Beginn, dass sie furchtbar kamerascheu sei. Es sei doch am Ende ein Text, kein Videopodcast? Vielleicht ist es typisch britisch, dieses Understatement (wobei Cheryl ursprünglich aus Schottland kommt), aber vor allem ist dieser Satz erst einmal eines: sehr sympathisch. Er passt zudem zu den Fotos, die die Designerin von ihren Modellen macht. Sie trägt sie zwar selbst, aber ihr Gesicht sieht man so gut wie nie.
In der Pandemie wieder angefangen zu stricken
Das Stricken hat die 40-Jährige einst von ihrer Mutter gelernt. “Wobei sie den Maschenanschlag und das Abketten übernommen hat”, erinnert sich Cheryl lachend. Aber immerhin: Ein Anfang war gemacht. Und auch wenn das Hobby im Laufe der Zeit erst einmal wieder in den Hintergrund trat, weil andere Dinge Priorität hatten – ganz weg war es offensichtlich nie. Während der Coronapandemie griff Cheryl wieder zu den Nadeln. “Ich wollte mir eine eigene Garderobe stricken”, sagt sie. Zudem waren die Kinder klein – passende Projekte standen also ganz oben auf der Strickliste.
So kam dann eines zum anderen. Strickte sie am Anfang noch nach bestehenden Anleitungen und hatte keine Pläne, das Ganze unternehmerisch anzugehen, begann Cheryl bald selbst herumzutüfteln. Eines der ersten offiziellen Ergebnisse: der Mia Sweater, den sie im Sommer 2022 veröffentlichte. Kurz danach folgte schon der Mia Sweater Mini. Seitdem kommen stetig neue Designs dazu. Nicht jede Woche eines und auch nicht zwingend jeden Monat, aber bis heute sind es knapp 30 Modelle – vom Top bis zum Kuschelpullover – die sich, so finden wir es bei Maschenfein, allesamt lohnen, nachzustricken.
Dass die Frequenz unterschiedlich ist, liegt auch daran, dass das Stricken nicht Cheryls einziges Standbein ist. Noch länger, als dass sie Strickmode entwirft, ist sie Yogalehrerin und unterrichtet in verschiedenen Londoner Yogastudios. Das klingt beim ersten Hören oder Lesen wahnsinnig schick (und ist es vielleicht auch) – aber dass sie in einer Metropole Yoga unterrichtet und das Ganze fast wie ein Filmklischee anmutet, merkt man der Lehrerin und Designerin, die während des Videotelefonats in einer schlichten Ecke ihres Hauses sitzt, überhaupt nicht an. Im Gegenteil: Hätte eine entspannte Atmosphäre einen Namen, hieße sie womöglich Cheryl Mokhtari.

Foto: ©️ Cheryl Mokhtari
Das Garn inspiriert

Foto: ©️ Cheryl Mokhtari
Ihre Ideen bekommt die Londonerin von Netzwerken wie Pinterest oder Instagram – “und vom Garn”, ergänzt Cheryl. Am liebsten verstrickt die Designerin Merino, Kaschmir und Alpaka, gerne mehrfädig für einen “schönen Effekt”. Mittlerweile landen nur noch eigene Modelle auf den Nadeln und das auch weitestgehend nacheinander. “Ich habe mir selbst die Regel auferlegt, eines nach dem anderen anzuschlagen”, erzählt sie lachend – wohlwissend, wie schwer das oft durchzuhalten ist.
Das passt auch zu ihrer eigenen Analyse, dass die Yogalehrerin in ihr sehr organisiert ist (“Ich arbeite gerne nach einem Zeitplan”), die Designerin aber etwas weniger strukturiert. Beides geht bei Cheryl zusammen – weshalb sie bei der Frage, was sie sich für die Zukunft wünscht, spontan antworten kann: “Mehr von dem zu machen, was ich gerade tue.” Yoga fürs Stricken aufzugeben? Nein. “Ich würde es zu sehr vermissen.” Gleichzeitig gibt ihr die Strickgemeinschaft so viel, was ihr wiederum beim Yoga fehlt. Die Balance und die Mischung sind es also, die bei Cheryl so gut funktionieren. Und am Ende hat auch Stricken eine meditative Komponente – wie Yoga. “Das Gefühl ist gleich.” Es sei ihr Zufluchtsort, ein kleines Heiligtum quasi. Was sie sich vorstellen könnte, wäre sogenannte Yoga- und Strickretreats anzubieten – Auszeiten für die Seele also und bestimmt eine wunderbare Kombination.
Viele Ideen, zu wenig Zeit
Aktuell arbeitet die Designerin und Yogalehrerin an verschiedenen Projekten; viel Raum nimmt da ein Modell für ein Magazin ein, das im kommenden Frühling erscheinen soll. Mehr will Cheryl noch nicht verraten – die Vorfreude ist ihr aber auch über den Bildschirm anzusehen. Parallel entsteht ein gestreiftes Shirt, das im Übrigen ein schönes Beispiel für Cheryls Spontanität ist und der Versuch, sich vom äußerlichen Druck zu lösen. So schrieb sie vor wenigen Wochen noch auf ihrem Profil, dieses Jahr keine Sommerdesigns zu entwerfen, weil sie eben zeitig veröffentlicht werden müssen, damit die Strickwelt sie passend zur warmen Jahreszeit nacharbeiten kann.
Eine Garninspiration später liegen nun die Anfänge eines neuen Designs vor ihr: Idee und Wunsch waren einfach zu groß. Dazu kommen noch ein paar weitere Teststricks, so ganz scheint der Ansatz “Ein Projekt nach dem anderen” also nicht zu funktionieren – aber auch hier gilt: wie wohltuend. Es geht vielen Strickerinnen und Designerinnen eben doch sehr ähnlich.
Aufregung und Vorfreude
Ein Problem, das vermutlich alle verbindet, ist die fehlende Zeit. Weshalb ihre Kinder öfter fragen, ob das neue Projekt denn für sie sei. “In den Ferien stricke ich für die Kinder”, sagt Cheryl und muss lachen. Ob die Strickstücke dann wirklich alle pink sind wie zuvor gewünscht, sei erst einmal dahingestellt – eine Mini-Version des bekannten Montrose Cardigans ist aber tatsächlich in Planung, erzählt sie.
Doch egal, was als nächstes auf Cheryls Nadeln wandert, the first part – also der Beginn eines Projekts – gefällt ihr stets am besten. Beim Gradieren der Größen hat sie mittlerweile Unterstützung von einer sogenannten Tech Editorin, da dieser Aspekt viel Zeit einnimmt. Die Aufregung und die pure Vorfreude auf ein neues Design – die bleiben aber ganz bei der Urheberin. Und dann, zu gegebener Zeit, kommen sie auch bei der Strickcommunity an. So schwappt etwas von Cheryls entspannter und unprätentiöser Art auch zurück aufs europäische Festland.

Foto: ©️ Cheryl Mokhtari
Pünktlich zur Veröffentlichung dieses Porträts erscheint an diesem Wochenende auch Cheryls neuestes Design: der Amesbury Cardigan ist ein tolles, außergewöhnlich konstruiertes Strickstück, das keine Langeweile aufkommen lässt. Das passende Strickset findet ihr hier – ihr könnt zwischen einer einfädigen und einer zweifädigen Variante wählen. Die Anleitung könnt ihr via Ravelry kaufen. Und hier geht es zu Cheryls anderen Designs, zu denen wir Stricksets im Maschenfein-Shop haben.
6 Kommentare
Vielen lieben Dank ❤️! Ich fürchte wieder Mal mich verliebt zu haben…Da hilft nur eins: Augen zu und durch, stricken, träumen (vom nächsten Stricken) und seufzen🥹☺️.
Liebe Tatsiana, da geht es dir wie uns! 🙂 Ganz viel Freude weiterhin beim Stricken und liebe Grüße! Sophia
Liebe Sofia, auch wenn Du keinen Samstagscafe geschrieben hast, hast Du Dich wieder selbst übertroffen. So schöne Designs, da wird die Strickliste lang, weil man sich gar nicht entscheiden kann. Wünsche Euch ein schönes Wochenende in MVP.
Liebe Grüße Sandra
Liebe Sandra, oh, solche Rückmeldungen machen mich glücklich! Vielen Dank für das Lob! Wir hatten ein sehr schönes Teamtreffen – da berichte ich im nächsten Samstagskaffee mehr. Liebe Grüße! Sophia
Das ist ja super passend. Vor einigen Tagen habe ich das Seaside Tee angeschlagen und heute kommt ein Interview mit der Designerin! Lieben Dank für die vielen Hintergrundinformationen.
Liebe Antje, was für ein Zufall – wie toll! Dann wünsche ich dir weiterhin ganz viel Spaß mit deinem Projekt und schicke liebe Grüße! Sophia